top of page
Suche
  • AutorenbildKarl-Josef Sittig

"Verlorener Zwilling - alleingeborener Zwilling"

Aktualisiert: 22. Aug. 2019


Schon seit meiner Kindheit fühle ich mich trotz liebevoller, feinfühliger Eltern immer irgendwie innerlich unwohl, einsam, quer, unvollständig, nicht ‚normal’. Ich beschäftige mich eigentlich schon immer damit, was mit mir los ist, kann es aber nicht so richtig benennen. Und das, obwohl ich doch vom Fach bin!

Die Erkenntnis, ich könnte ein alleingeborener Zwilling sein, kommt mir einige Wochen nach einem schweren Fahrradunfall, als ich aus heiterem Himmel auf dem Sofa liegend plötzlich schreckliche Angst bekomme, die sich einfach nicht lösen will. Es ist furchtbar und mir völlig unerklärlich. Erst als mein Mann mich lange umarmt, werde ich wieder ruhig.


Das macht mir solche Angst, dass ich Hilfe bei einem EMDR-Therapeuten suche. Die Unfallsituation ist schnell bearbeitet, und schon kurze Zeit später kann ich wieder fröhlich radeln. Obwohl sich der einfühlsame, erfahrene Therapeut sehr um mich und mein Wohl bemüht, bleiben einige Symptome hartnäckig bestehen:


Mein ganzes Leben lang erfasst mich schon immer eine seltsam an mir ziehende Todessehnsucht, ein wenig romantisch verklärt, vergleichbar mit einem Gefühl, von dem höhenängstliche Menschen berichten. Der Blick hinunter zieht mich wie ein Sog in die Tiefe und ich muss mich festhalten.


Als mein Sohn nach einem schweren Fahrradunfall verkabelt und notärztlich versorgt aus dem Schockraum der Notaufnahme gefahren wird, habe ich das Gefühl, der Boden öffnet sich unter mir, dunkler Nebel hüllt mich ein. Ich muss mich festhalten, höre nicht mehr, was der Arzt sagt. Ich kriege nichts mehr mit. Ganz seltsam stehe ich mich plötzlich völlig unter Strom, total in mir isoliert in einem Überlebenskampf, als ginge es um mein Leben, um Alles-oder-Nichts. Es ist furchtbar. Erst als mein Sohn die Augen aufschlägt und signalisiert, dass er lebt, löst sich meine furchtbare Erstarrung. Ich weiche nicht von seiner Seite.


Wenn mein Mann tief schlafend neben mir liegt, beschleicht mich immer wieder dieses spannungsgeladene erstarrende Schuldgefühl, versagt zur haben: „Er ist tot.“ Im Bett liegend entsteht vor meinem geistigen Auge das Bild einer Trauerannonce in unserer Tageszeitung mit seinem Namen. Ich schlafe neben meinem Mann so unruhig, dass wir schließlich getrennt schlafen. Erst dann fühle ich mich gut ausgeschlafen und freudig erfrischt, fit für den Tag. Mein gestorbener Zwillingsbruder lag wohl bis zu meiner Geburt tot neben mir. Dieses Gefühl wurde wieder in mir wach, wenn mein Mann neben mir liegt. Das weiß ich heute. Auch die Phantasie der Traueranzeige kann ich mir jetzt so erklären.


Regelmäßig einige Tage vor meinem Geburtstag beschleicht mich wieder und wieder das Gefühl, besser, ich wäre nicht da und der Geburtstag fiele aus, besser, ich wäre nie geboren, garnicht da. Eigentlich ist mein Leben schön und ich kann es mir nicht erklären.


Seit der Schulzeit arbeite ich viel, meistens an mehreren Stellen gleichzeitig, ehrgeizig, geradezu besessen, meine Ideen zu Papier zu bringen bis zur Erschöpfung. Ich arbeite ganze Nächte durch, um Konzeptentwürfe zu erstellen, kümmere mich am nächsten Morgen um die Kinder und gehe dann zur Arbeit. Ich funktioniere. Bis tief in die Nacht sitze ich in meinem Büro und grübele über Lösungsansätzen für unzählige dienstliche und fachliche Herausforderungen. Glücklicherweise stecken die beschränkten Arbeitszeiten unseres Kindermädchens, die Kinder und mein Mann den zeitlichen Rahmen, sodass ich dann doch irgendwann gezwungen bin, Feierabend zu machen.


Immer wieder drängen sich mir diese Verschmelzungswünsche auf: „Ich möchte mit Dir zusammen sterben. Ohne Dich kann ich nicht sein. Allein will ich nicht leben. Ich bin irgendwie nicht vollständig. Mir fehlt “etwas” um ganz zu sein, aber was?


Seltsam diffuse andauerde Schuldgefühle, ich entschuldige mich andauernd für irgendetwas: „Es nicht ok, dass ich lebe.“ „Ich fühle mich irgendwie schuldig.“, „Ich habe überlebt, aber ein Opfer will ich nicht sein.“, verrückte Gedanken und Gefühle, die immer wiederkehren und mich quälen.


Dann habe ich immer wieder – aus dem Nichts heraus – heftige Aggressionen: „Ich könnte Dich umbringen.“„Dann will ich auch nicht leben.“


Dann wieder idealisiere ich die Liebe: „Die Liebe ist so groß und unerreichbar. Ich bin überhaupt nicht liebesfähig und ich leide an unerfüllter unendlicher Sehnsucht.“


Und dann diese andauerden völlig unbegründeten Ängste, zu versagen: „Ich schaffe es nicht und schäme mich.“


Auch habe ich große Angst vor Erfolg: „Ich darf mich nicht zeigen.“ “Mein Platz ist in der zweiten Reihe.” „Nach gutem eigenem Erfolg schäme ich mich und ziehe mich zurück.“


Eine unendliche Liste immer wieder simmernder Spannungszustände, die ich mir überhaupt nicht erklären kann.


Nach außen schauspielere ich, funktioniere perfekt, führe ein vorbildliches Leben, liebe meine Kinder und meinen Mann, bin beruflich sehr erfolgreich.

Niemand ahnt meine innere Zerrissenheit, meine Spannungen, meinen “Überlebenskampf”. Ich verstehe ihn ja selbst nicht, habe keine Worte dafür.


 

LIFT kennenlernen


Im Rahmen meiner Hypnotherapieausbildung nehme ich 2014 an dem sehr beeindruckenden Seminar „Sanfte schonende Traumalösungen“ mit Karl-Josef Sittig teil. Mit präzisen vom Klienten gefundenen Lösungen verschwinden wie von Zauberhand bislang nicht-lösbar erscheinende Belastungen. Der sofort überprüfbarem Erfolg ist verblüffend. Ich bin wie elektrisiert. Man braucht garnicht zu wissen, woher die inneren Spannungen kommen. Das spricht mich an, denn bei mir ich weiß es ja nicht. Diese Methode will ich näher kennenlernen. Vielleicht kann sie ja auch mir helfen? Ich bitte den Kollegen um eine Sitzung. Daraus werden einige Selbsterfahrungssitzungen. In diesen LIFT- Sitzungen kommt unter anderem zutage:

Als kleines Kind bin ich fast ertrunken (Nahtoderlebnis) und wurde so grade noch gerettet. Dieses traumatische Erlebnis verfolgte mich bis heute. Ich kann es in der Sitzung lösen.

Dann finde ich meinen im Mutterleib neben mir verstorbenen Bruder wieder und begegne ihm im Reich meiner toten Ahnen. Ich söhne mich mit ihm aus, finde meinen Frieden damit, dass er gestorben ist. Nun verstehe ich meine romantische Todessehnsucht, die Sehnsucht, ihm nahe zu sein.

Zum ersten Mal in meinem Leben fügt sich alles wie in einem Puzzle zusammen, verstehe ich meine lebenslangen komischen befremdlichen Gefühle und Gedanken, meine unerklärlichen dauernden Spannungen.

Meine im Innersten verborgenen unbewussten, über 60 Jahre verankerten irrationalen Glaubenssätze: „Ich habe kein Recht zu leben und ich bin gezwungen zu leben. Ich muß mich schämen, ich bin schuld, ich bin falsch.“ bekommen plötzlich Sinn.

Ich wandele sie um:

„Ich darf leben, auch wenn mein Bruder gestorben ist. Ich bin nicht schuld an seinem Tod, weil ich mich zu breit gemacht habe im Mutterleib. Er freut sich mit mir, dass ich lebe.

Ich bin richtig hier auf der Welt.

Ich habe ihn nicht verloren. Er ist nun innerlich bei mir. Wir sind und bleiben für immer verbunden und - er freut sich, dass ich lebe.

Ich trete ins Leben. Ich lebe lebendig, bin ganz da. Ich bin und bleibe lebendig verbunden. Ich gehöre dazu.“

Heute spreche ich manchmal mein Lösungswort „echte Liebe“ in stressigen Situationen innerlich bewusst aus und spüre sofort die innere Ruhe „echter Liebe“. Interessanterweise brauche ich dieses immer seltener, wird dieses Lebensgefühl immer selbstverständlicher.

Ich freue mich ganz, allein und verbunden lebendig zu leben.

Bemerkenswert, dass meine pränatalen, also vorgeburtlichen und frühkindlichen Traumatisierungen so schnell und leicht zu lösen sind.

Dafür bin ich einen weiten Weg gegangen. In meinen zahlreichen Ausbildungen als Psychotherapeutin hatte ich immer wieder gelernt, das “frühe” Störungen nicht oder nur ganz langwierig zu heilen seien.

Im “LIFT” ist der Zeitpunkt des schrecklich Erlebten nicht wichtig für das Lösen und Heilen.


 

Mein Lösungsweg:


Nach der ersten Einzel-L!fT-Sitzung fühle ich mich wie nach einer gründlichen inneren Wäsche, einer Selbstreinigung, irgendwie positiv, frisch und neu. Mit wohltuendem großen gesunden Abstand schaue ich aufmerksam auf meinen wiedergefundenen verstorbenen Bruder, meine liebevollen Eltern und die Galerie meiner Ahnen, weise allen ihre Plätze zu und spüre dabei meine Sicherheit, Verbundenheit und meine echte Liebe. Der Weg ins Leben, in mein eigenes Leben ist endlich frei.

Lange behalte ich dieses Bild vor Augen: Ich öffne von innen nach außen die Tür aus diesem inneren Theater und trete hinaus ins wahre, reale Leben.

Ich lebe - echt und lebendig. Ich bin endlich angekommen. Ich bin da. Ich bin.

Wie nach einer sanften Geburt verändere ich mich.

Meine innere Entwicklung wird auch äußerlich sichtbar. Ich strahle, bin offener, spontaner, entschuldige mich nicht mehr andauernd, bin nicht mehr so übervorsichtig. Ich bin intuitiver, selbstverständlicher einfach da, ruhe mehr in mir. Ich bin, wie ich bin.

Ich verändere mich so intensiv, so schnell, so komplex, dass ich das mit Worten nicht annähernd beschreiben kann.

In der Kunst, im Malen, in der Musik finde ich passendere Ausdrucksmöglichkeiten, die mein vielschichtiges Erleben widerspiegeln.


Ich mache sechs Einzelsitzungen (zwei per Skype) und davon eine Sitzung zusammen mit meinem Mann.

Glücklicherweise dauern die LIFT-Sitzung nicht nur 50 Minuten, sondern 100 Minuten. Die habe ich auch gebraucht.

Als Paar profitieren wir besonders von den „Konstruktiven Dialogen“ im LIFT.

So ehrlich, achtsam für sich selbst und den anderen, verstehend und akzeptierend haben wir noch nie miteinander gesprochen.


Ich mache die LIFT Ausbildung, trotz meines reifen Alters, trotz meiner vielen Ausbildungen.

In den für Therapeuten und Coachs offenen Wochenendseminaren finde ich große Unterstützung auf meinem eigenen Weg. So habe ich nach fast 40 Jahren Berufserfahrung als Psychotherapeutin - die LIFT-Methode erlernt. Jetzt gebe ich sie selbst in meiner psychotherapeutischen Praxis weiter.


Offenkundig wirkt LIFT sehr nachhaltig. Ich kann zunehmend nur noch mit Anstrengung die über Jahrzehnte belastenden Bilder, Gedanken und Glaubenssätze erinnern. Sie haben keine Bedeutung mehr.

Die Lösungssituationen kann ich wieder aktivieren, wenn ich sie brauche, zunehmend immer weniger.

Heute genieße ich mein das Leben in vollen Zügen mit meinem Mann, meinen Kindern, besonders beim Sport allein oder in geselliger Runde.


Meine Stationen auf dem konstruktiven Weg ins eigene Leben:

Sehr berührt finde ich mich mit meiner damaligen Dauerstress im folgenden Text von Arthur Schnitzler wieder:


„Wenn du den ‚Jardin secret‘, den heimlichen Garten deiner Seele allzu zärtlich hegst, so geschieht es leicht, daß er gar zu üppig zu blühen, über den ihm zugemessenen Raum hinauf zu wuchern beginnt und allmählich auch Gebiete deiner Seele in Besitz nimmt, die gar nicht bestimmt waren, geheim zu bleiben. Und so kann es endlich geschehen, daß deine ganze Seele zu einem verschlossenen Garten wird und in all ihrem Blühen und Duften an ihrer Einsamkeit zugrunde geht.”



 

Sicht von oben:


Am Ende der zweiten L!fT- Einzelsitzung, in der ich mein existentielles Thema als alleingeborener Zwilling „Leben – Tod - Liebe“ lifte, kommt mir der „Tanz seliger Geister“ in den Sinn. Schon immer faszinierte mich die Geschichte, in der Orpheus alles daran setzt, die geliebte Eurydike aus der Unterwelt ins Leben zurück zu führen. Doch auf dem Weg aus der Unterwelt schaut er sich verbotenerweise nach ihr um, sodass er die so sehr geliebte Eurydike endgültig für immer verliert, wie furchtbar.

Jede Gelegenheit nehme ich wahr, diese Aufführung zu besuchen. Die Schönste für mich ist von Willibald Gluck, Orpheus und Eurydike in der Inszenierung von Pina Bausch in der Opéra national de Paris.


Ich habe mich nach meinem Bruder umgeschaut und nach Jahrzehnten der Schuld, der Unvollständigkeit, der romantischen Todessehnsucht bin nun endlich für immer mit ihm in Liebe dankbar verbunden. Jetzt bin ich frei, ganz ich und ich lebe.


Resümee:


Heute finde ich mich wieder in der Symphonie von Olivier Messiaens Turangalîla, Ballett- Inszenierung von John Neumeier, ohne chronologischen Erzählstrang einfach in der Liebe, Freude, Zeit, Bewegung, Rhythmus, in Tod und Leben.

So lebe ich heute dankbar mein Leben - frei - einfach Liebe, Freude, Zeit, Bewegung, Rhythmus, Tod und Leben.

1.084 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen
bottom of page