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  • AutorenbildKarl-Josef Sittig

„Dissoziative adolescente Epilepsie“

Aktualisiert: 25. Feb. 2022

Dissoziative Krampfanfälle und ihre hypnotherapeutische Behandlung


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Nach dem kollegialen Austausch mit einer ratsuchenden Kollegin über einen Patienten mit einer schweren Form von unerklärten Krampfanfällen und der Diagnose dissoziative Epilepsie, erinnerte ich mich an einen früheren Patienten.

Mit „dissoziativer Epilepsie“ diagnostiziert und medizinisch austherapiert, sucht er Hilfe in einer Psychotherapie. Inzwischen hat er zusätzlich eine Depression entwickelt. Die Kollegin ist ratlos und sucht Unterstützung in der kollegialen Supervision.

Da fällt mir ein Patient von früher ein mit derselben Diagnose: „Dissoziative Epilepsie“

Wie ist damals die Therapie noch gelaufen? Was war wesentlich?

Was ist ihm heute wichtig in der Rückschau?

Was war für ihn besonders wichtig, besonders heilsam?

Wie geht es ihm heute? Hat die Psychotherapie dauerhaft geholfen?

Viele Erinnerungen aus der lange vergangenen Therapie tauchen auf.

Die will ich mit seinen Erinnerungen bereichern und auffrischen.

Also frage ich schriftlich an, ob ich ihn anrufen darf? Ich darf!

Seit dem Ende der Therapie vor 8 Jahren hatten wir keinen Kontakt mehr. Ich rufe ihn an und bin sehr gespannt:

Mit seinen Informationen angereichert schreibe ich seine Lösungsgeschichte anonymisiert auf. Nachdem er dieses noch einmal korrigiert hat, gibt er die Erlaubnis zur Veröffentlichung.

Die Lösungsgeschichte:

Mit 13 Jahren bekommt er seinen ersten epileptischen Anfall. Er wird von Arzt zu Arzt geschickt und niemand kann ihm helfen. Auslöser ist u.a. der Anblick von Blut. Ein Versuch, die epileptischen Anfälle mit Medikamenten in den Griff zu kriegen, scheitert. Durch die Medikamente fühlt er sich sehr benebelt, einfach schlecht und kognitiv eingeschränkt und die Anfälle werden nicht besser. Daher werden die Medikamente wieder abgesetzt.

Kein Arzt sagt ihm damals, dass solche Anfälle auch psychogen sein können. Die Sache scheint aussichtslos. Durch den Tipp einer Freundin kommt er mit 16 Jahren in die Therapie zu mir - verzweifelt und ratlos.

Zur sicheren medizinischen Abklärung geht er zur Diagnostik in eine spezialisierte Fachklinik. Diese stellt die Diagnose „Dissoziative adolescente Epilepsie“. Wir machen ganz bewusst keine Analyse der Vergangenheit, obwohl ich dazu innerlich reichlich Bilder = Hypothesen für die Entstehung bekomme. Die behalte ich schön für mich.

Meine Intuition sagt mir, dass das eher noch weiter belastend als hilfreich ist.


Hypothese:

Erklärungsmodell / Metapher / Vorstellungen / Suggestionen, die wir zusammen entwickeln:

Wenn die emotionale Anspannung einen bestimmten Level übersteigt, schaltet der Patient sich automatisch unbewusst ungewollt ab. Wie macht er das?

Durch die hohen emotionalen Ladungen erzeugt er unbewusst einen Hochspannungs - Kurzschluss im Gehirn, ein kurz sprühendes "Feuerwerk" von Stromspannung.

Nach krampfhaft zuckenden Entladungen, die durch den ganzen Körper gehen, fliegt die Sicherung raus und es erfolgt dann die Tiefenentspannung, der "Reset".

Ausgehend von diesem Erklärungsmodell explorieren wir ganz genau die Augenblicke vor den Anfällen und generell alle möglichen Stressmöglichkeiten, alle spannenden, hochemotionalen Momente.

Der Pat. leidet unter großen Spannungen in der Familie u.a. durch Konflikte der Eltern untereinander und an permanenten hochemotional geladenen Auseinandersetzungen mit seinem sehr ängstlichen, kontrollierenden, "dominanten" Vater. Der ist permanent „auf dem Sprung“. Dieses ergibt im Zusammenspiel mit seinen „pubertären“ Verselbstständigungs- versuchen eine permanente Spannungssituation.

Ich lade Mutter und Vater ein, mit in die Therapie zu kommen und der Vater kommt. Er macht schließlich parallel eine Therapie bei mir. Heute, nach 8 Jahren im katamnestischen Gespräch, betont der Sohn, dass dies ein ganz wesentlicher entscheidender Schritt zur Lösung war!!

Der Vater:

Der Vater ist durch die Anfälle des Sohns traumatisiert, permanent in "Hab - Acht - Stellung". Er schläft keine Nacht richtig, ängstigt sich furchtbar, wenn der Sohn später als verabredet nach Hause kommt… Die Anfälle erschrecken ihn jedesmal zu Tode.

Er entwickelt einen Kontrollzwang mit Dauerhochspannung und Totalüberwachung des Sohns, um sein Leben zu retten.

Diese Traumatisierungen lösen wir mit den Anfängen von »L!fT®«.

In der lösungsorientierten Behandlung realisiert der Vater, dass der Sohn ja wirklich lebt, alle Anfälle gut überstanden hat, sich selbst gut helfen kann…Er realisiert, dass er letztlich nicht verhindern kann, dass sein Sohn sterben könnte.

Dieses realisiert der Vater in der Therapie in tiefer Lösungstrance und er findet seinen Frieden und seine Akzeptanz damit.

Er lernt, mit dem "aufmüpfigen" Sohn, der sich "nichts, aber auch gar nichts" sagen lässt, ruhig und gelassen umzugehen.

Der Sohn: Die Traumafolgephänomene durch die epileptischen Anfälle selbst, über die Jahre entstanden, behandeln wir ebenfalls mit einer Kombination aus lösungsfokussierendem ressourcensensibilisierendem R- EMDR und Hypnotherapie, den Anfängen von »L!fT®«.

Insbesondere löst er so auch seine Selbstwertproblematik – "mit meiner Epilepsie finde ich niemals eine Freundin…" - und die Verunsicherungen im Freundeskreis mit Schulungen der Freundinnen und Freunde, die Anfälle richtig einzuordnen und sicher und gekonnt ihn beim Anfall aufzufangen.

Die Spannungen angesichts des schweren elterlichen Konfliktes löst er durch Des- Identifikation vom Dauerkonflikt der Eltern.

Die andauernden intensiven Stressauslöser (Traumafolgestörungen) mit dem Vater, der den Patienten permanent seit Jahren kontrolliert, löst er durch hypnosystemisches R-EMDR.

Nun sieht er das Verhalten des Vaters anders, als dysfunktionale Fürsorge. So kann er dies nun mit großer gesunder Distanz ruhig und besonnen verstehen.

Der junge Patient lernt, sich besonnen, freundlich und bestimmt, ganz klar und selbstverständlich durchzusetzen und mit dem Vater zu einigen. Die Anfälle werden seltener und seltener.


Einen der letzten sehr heftigen Anfall hat er ausgerechnet an seinem 18. Geburtstag im Kreis seiner besten Freunde, direkt bevor alle zu seiner großen Geburtstagsparty kommen wollen.

Die Party ist damit natürlich "gestorben" und Vater hat leider "recht" gehabt, dass das alles viel zu viel ist.

Die Katastrophe, die Enttäuschung ist riesengroß, darf er doch deswegen als einziger im Freundeskreis keinen Führerschein machen…und er hatte doch schon über ein halbes Jahr keinen Anfall mehr! Im Gespräch heute, 8 Jahre später, frage ich ihn, wie das aus heutiger Sicht für ihn aussieht?

Der junge Mann ist heute 26 Jahre alt.

Heute ist das alles "Schnee von gestern", weit weit weg, lange vergangen.

Er ist glücklich verheiratet. Mit seiner Frau hat er eine kleine Tochter.

Seine Frau ist eine Freundin aus seinem früheren Freundeskreis, die die ganze Geschichte kennt und miterlebt hat. Sie weiß Bescheid…

Heute bleibt sein Vater auch als frischgebackener stolzer Opa respektvoll.

Der Vater akzeptiert, dass sein Sohn selbstbestimmt mit Kind und Familie lebt!

So hat er heute mit gesundem Abstand eine sehr schöne harmonische Beziehung zu seinem Vater.

Die Eltern sind getrennt und das ist gut so.

Seit über 8 Jahren hat er keinen einzigen epileptischen Anfall mehr und er ist dafür zutiefst dankbar.

Anlass und Ziel für diese Geschichte: Wir hoffen, wir können damit ein wenig weiterhelfen.

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